HARVESTEHUDER  LICHTSPIELE

Hamburg,  Eppendorfer Baum 35

eröffnet: 1913
geschlossen: 1962
Sitzplätze: 875 (1920) - 817 (1940) - 804 (1950) - 921 (1957/1962)
Architekt: Heinz Gisbier & Georg Koyen (Umbau 1955)
Betreiber:
J. Henschel GmbH
J. Henschel GmbH im Ufa-Konzern
Ufa
Dr. Bruno Maelger
1913-ca. 1919
ca.1920-1925
1926-ca.1960
1961-1962
Kinoname: Harvestehuder Lichtspiele

neuer Kinoname: Ufa Harvestehude
neuer Kinoname: Harvestehuder Lichtspiele


Das Kino wurde 1913 im früheren Tanzsaal des Eppendorfer Gesellschaftshauses am Eppendorfer Baum 35-37 eröffnet. Die Inneneinrichtung beeindruckte durch „echte Teppiche, Bronzen und wertvolle Porzellane, ganz abgesehen von den echten Hölzern der Wandverkleidung und den schweren Polstersitzen der Logen“.
Das "Hamburger Fremden-Blatt" schrieb zu Eröffnung in seiner Ausgabe vom 21.09.1913:Auf dem Eppendorferbaum haben die "Harvestehuder Lichtspiele" ihre Pforten geöffnet. Hamburg hat ein neues Kino - das neue Kino. Wenn man einen Gewohnheitsbesucher der gewiss nicht unebenen Lichtspieltheater, die im Innern der Stadt in schwer unübersehbarer Zahl erstanden sind, heute in den Prunkraum führen wollte, der noch vor wenig Wochen ein trübseliger Tanzsalon war, und ihm sagte, wie gefällt dir der neue Kientopp, der gute Mann würde antworten: "Kientopp? Nö, das ist doch wohl ein Irrtum, das ist ja ein Palast." ... Der ansehnliche Saal hat durch geschickte Gliederung an Grössen-Eindruck noch gewonnen, und gleichzeitig schafft die Ausstattung des Raumes doch eine behagliche, intime Stimmung. Wenn man aus dem lichtdurchfluteten Vestibülen und Garderoben in den Zuschauerraum tritt, umfängt einen Ruhe und gediegener Prunk. Der Fuss ruht auf weichen Teppichen, dem Auge, das ringsum gedämpfte und zugleich wechselreiche Farben schaut, tut ein mildes Licht wohl, geräumige Sitze laden zu angenehmem Verweilen. Zu beiden Seiten des Zuschauerraums, der trotz seinem behaglich-beschränkten Aussehens 900 Sitzplätze fasst, ziehen breite Wandelgänge, mit erleuchteten Tischchen und lauschigen Sesselecken. Die hohe Decke, deren Eindruck durch eine geschickte Gliederung der Wände gesteigert ist, trägt kostbare, schlichte Lichtquellen. Die Bühne hebt sich breit und wuchtig aus dem Parkett, das Orchester ist verdeckt. ... Hamburg ist gestern abend um ein prächtiges Theater, das Kino um ein echtes Kunstwerk reicher geworden.

Das Kino wurde von James Henschel, dem ersten Hamburger Kinokönig, betrieben. 1924 an die "UFA" veräußert, entwickelten sich die Harvestehuder Lichtspiele zu einem führenden Stadtteilkino, das 1929 den ersten deutschen Sprechfilm „Atlantic“ schon vier Wochen nach der Hamburger Premiere zeigen durfte. In den 1930er Jahren wurden es in Ufa-Harvestehude umbenannt. Im Zweiten Weltkrieg waren in dem Kinogebäude 70 ausländische Zwangsarbeiter untergebracht.

1949 schrieb die "Die Neue Filmwoche" in Ihrer Ausgabe 4 über das Kino: " In der verkehrsreichsten Geschäftsstraße eines fast völlig unzerstörten gebliebenen, dichtbesiedelten Wohnviertels hat die verhältnismäßig schmale Eingangsfront eines größeren Lichtspieltheaters nicht allzu viel Fläche zur Entfaltung prunkvoller Außenreklame. Trotzdem ist das Kassenhäuschen vorn am engbrüstigen, etwas schlauchartig Eingangs auch heute Endpunkt so manch geduldiger Schlange, und vor Beginn der Abendvorstellung ist es meist nicht leicht, sich durch das weit in die Straße hinausquellende Gewühl hindurchzuwinden. Im Inneren weitet sich freilich der Raum des eigenartig altmodischen, sämtlichen Gesetzen moderner Raumausnutzung hohnsprechenden Theaters zu verschwenderischen Um- uns Seitengängen, so das der Plan des Hauses - für ein Kino wohl einzigartig - neben 804 Sitzen noch 200 polizeilich genehmigte Stehplätze aufweist. Von den Letzteren werden allerdings nur 96 in Anspruch genommen, so das mit 900 Plätzen bei vier Vorstellungen täglich 3600 Personen aufgenommen werden können.
Es liegt ein Hauch altväterlicher Gediegenheit und ein Anklang Althamburger Patriziertums über dem länglichen, braungetäfelten Saal mit seinen zahllosen Säulen, den hölzernen Seitenboxen und den imitierten Balkons darüber Den Erbauern dieses ehemaligen Tanz- und Festsaals schwante noch nichts von dem Wunderwerk des beleuchteten Zelluloid und noch weniger von den Filmen aus aller Welt, zu deren Tempel der Bau nun geworden ist. Vor dem Krieg ein mittleres Nachspieltheater der Ufa, wurde das Kino am 31. August 1945 neu eröffnet und behielt seinen Namen auch in der Folge noch, als in Folge eines alten Luftdruckschadens der Vorführraum zusammenkrachte und Gastspieldirektionen die geräumige Bühne Theaterzwecken nutzbar machten. Inzwischen wuchs aber das Filmangebot, das die eingeführten Hamburger Erstaufführungstheater nicht mehr bewältigen konnten, und am 13. Dezember 1947 avancierte das frühere Nachspieltheater der Ufa zu den Harvestehuder Lichtspielen und einer der Wiegen neuer Filmkinder. Aus der Produktion der jungen Filmunion erblickten "Menschen in Gottes Hand" und "Die Söhne des Herrn Gaspary" hier zum allererstenmal die Leinwand, der übrige Spielplan umfasste einen bunten Wechsel zonaler Erstaufführungen.bis zur russischen "Steinernen Blume", von den DEFA-Filmen "Straßenbekanntschaft" und "Razzia" bis zum amerikanischen "Haus der Lady Alquist" oder zum französischen "Ein Schatten der Vergangenheit".
"Zu Weihnachten bekommen wir wahrscheinlich wieder einen ganz neuen deutschen Film zur Erstaufführung" versprach Theaterleiter Ernst Picker.Um welchen es sich handelt, wollte er allerdings nicht verraten, denn als alter Theaterfachmann, der 1931 als Kontrolleur bei der Ufa anfing und schließlich als Geschäftsführer des Ufa-Palastes gerade mal so eben als Letzter aus dem brennenden Haus herauskam, glaubt er immer selbst erst dann an einen festen Termin, wenn es soweit ist, das er die Premiereneinladungen und Plakatentwürfe besprechen kann.
Das eine geschmackvolle Werbung und ein Pflegender "Dienst am Kunden" nicht nur eine Sache des Geschäfts, sondern auch eine selbstverständliche Pflicht eines Schaumanns ist, und zur Kultur eines Filmtheaters, das etwas auf sich hält, gehört, bewies Picker auch vor der Währungsreform, als man es noch nicht nötig hatte. Durch viele Zeitungen ging damals in der Zeit des Kleingeldmangels die reizende Notgeldidee der Harvestehuder Lichtspiele: Kleine Cellophanhüllen mit dem Aufdruck des Theaters im papierenen Rand, in denen die klebrigen Briefmarken eingeschoben und damit zu einem handlichen Zahlungsmittel verwandelt werden konnten.
Auch der "Sportdienst" des Kinos, der allsonntäglich zu einem wohlvertrauten Bestandteil des Vorprogramms der Abendvorstellungen geworden ist, hat bei aller nicht zu leugnenden Werbekraft nicht nur Reklamehintergründe. Denn Sonntagsabends ist kaum je ein Platz frei. Aber Sportfreunde werden besonders gern sonntags nach Eppendorf pilgern, denn sie wissen, das sie dort neben einem neuen Film 2 Stunden nach Beendigung der großen Fußballkämpfe auch die neuesten Sportergebnisse zwischen Wochenschau und Hauptfilm im musikalisch untermalten Dias von der Leinwand ablesen können. Das Kino ist hier oft sogar noch schneller und aktueller als der Rundfunk, denn die Ergebnisse werden in Zusammenarbeit mit einer Sportzeitung telefonisch eingeholt und oft genug sogar von in Windeseile entwickelten und kopierten Prejektionsbildern der spannendsten Momente des jeweiligen Hauptkampfes illustriert. Und nachdem auch in Hamburg nun das Fußballtoto zur ständigen Einrichtung geworden ist, wird dieser Dienst eines Filmtheaters an Sportfreunden an Anziehungskraft und Reiz gewinnen.
33 Angestellte helfen Ernst Picker in seiner der Freude Tausender gewidmeten Arbeit. Spät wird es, meist sind sie erst nach Mitternacht zu Hause. Doch die Spätvorstellung um 21 Uhr ist die beste und immer ausverkauft. Trotzdem müsse man allmählich wieder zu einer  nur 14-tägigen Laufzeit der Programme kommen, drei Wochen nur für einen Spitzenfilm meint Picker, denn er ist nun mal nicht nur Theaterleiter, sondern auch ein großer Sportfreund. Und als Solcher hat er eine Schwäche für Gedränge und übervolle Häuser"

1955 wurde es nach vierwöchigem Umbau auf 922 Plätze erweitert und erhielt eine 12,30 x 4,80 Meter große Cinemascope-Leinwand, Vierkanal-Magnetton und eine „vollautomatische, gasbeheizte Be- und Entlüftungsanlage“. Doch spätestens 1962 wurde das prachtvolle Kino geschlossen und in ein Theater (Künstlertheater) mit 784 Plätzen umgebaut. Der Unternehmer Dr. Bruno Maelger hatte das Kino 1958 erworben und die schöne Altbaufassade durch schlichten Waschbeton ersetzt. Schon 1969 wurde das Theater jedoch geschlossen. Inzwischen sind ein Supermarkt und Arztpraxen eingezogen.
Quelle u.a.: Hamburger Wochenblatt, Artikel vom 12.7.2012

     
 Ansichten von 1949 (Bildquelle: Filmwoche 04/1949)

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Datum der Erstellung/letztes Update:09.09.2019