FILMTHEATER DER FREUNDSCHAFT

Röbel (Mecklenburg-Vorpommern) , Stadtgarten 7

eröffnet: 1920
geschlossen: 1991
Sitzplätze: 500 (1920) - 250 (1930/1940) - 324 (1950)
Architekt:  
Betreiber: Klara Biel                                   1920-mind.1921     Kinoname: Schützenhaus-LS

Lucie Curth-Rehberg                   mind.1924-1946

                                                                                 neuer Kinoname nach Krieg: FT der Freundschaft

Bereits 1825 wird die Kneipe mit Kegelbahn im Stadtgarten erwähnt. Es war eines der schönsten Häuser in Röbel, das Schützenhaus der Frau C. Biel. Um 1921 herum übernahm es die aus Schwerin stammende Frau Lucie Curtht, später verehelichte Rehberg. Sie bat i n einer Annonce in der Beyerschen Röbeler Zeitung ergebenst um den Besuch des dokumentarischen Industriefilms "Verborgene Schätze - Knochenverwertung.

Als nach Kriegsende russische Soldaten mal in eine Filmvorstellung platzten, versteckte die Tochter des Hauses ihren silbernen Bernsteinschmuck in einem der Filmprojektoren, wo er verschmorte und verbrannte. Das Haus wurde 1946 aufgrund des Lichtspieltheatergesetzes teilenteignet: Der linke Flügel blieb der Eigentümerin, die dort noch bis Anfang der 1960er Jahre eine Schankgaststätte betrieb. Die rechte Seite ging als Wohnraum an die KWV (scherzhaft: Kann Weiter Verfallen ) Kommunale Wohnungsbauverwaltung. In dem grossen Festsaal, den man von einem weitläufigen Foyer aus betrat, richtete die Stadt das "Filmthe ater der Freundschaft" ein. Der Fußfboden wurde angeschrägt und mit sogenanntem Spannteppich - einem auf der Unterseite gepolsterten graublau marmorierten Kunststoffbelag - überzogen und fortan war der Kinobesuch mit Pfennigabsätzen und Stöckelschuhen verbote n. Die Wände ringsum trugen einen Sockel von Ölfarbe, darüber waren sie mit einer blauen Bespannung aus gefältetem Stoff verkleidet. Die Wandlampen und der ovale, aus Milchglasscheiben zusammengesteckte Deckenleuchter ließen sich dimmen, wenn zu Filmbegin n der Gong ertönte. Geheizt wurde mit einem gußeisernen Ofenkoloss. Die Platzanweiserinnen hatten keinen leichten Stand, denn es galt als cool, in einem unbeobachteten Moment das Programmheft auf den glühend heissen Ofen zu legen, was den Saal total verqualmte. Auch warf man gerne die Eintrittskarten (Preis für "Rasierloge" ganz vorne 0,85 Mark, Sperrsitz hinten 1,25 Mark) empor in den Lichtstrahl des Projektors, wo sie wie Motten herumflatterten. In solchen Fällen wurde der Film angehalten, um die Urheber des schändlichen Treibens zu ermitteln. Allabendlich war der Treppenaufgang Treffpunkt der Jugendlichen. Wer lange Haare und Schlaghosen trug, galt als "Gammler", zumal zum Outfit ja auch die anthrazitfarbene Kofferheule vom Typ "Stern Party" gehörte, die auf dem linken Unterarm getragen werden musste. Wer das obligate Radio Luxenburg hörte, welches die aktuellen Hits spielte, wurde von ausgesandten SED-Mitarbeitern aufgeklärt, daß der Feindsender stets einen unhörbaren Pfeifton auflegen würde, der d as Gehör schädigt, um der sozialistischen Jugend gesundheitlichen Schaden anzutun. Die verkrampfte Staatspartei hatte also wieder ein Problem: Kaum meinte man, durch Maßnahmen gegen das Schützenhaus den "unseligen Geist der Schützenzünfte" ausgerottet zu haben, fand man hier im nun "Filmtheater der Freundschaft" genannten Gebäude jetzt einen Sammelpunkt der staatsgefährdenden "Yeah-Yeah-Yeah-Beatles-Fraktion", die in Wirklichkeit harmloser war, als ein Treffen der Rentner im "Club der Volkssolidarität". Jugendliche eben. Zu den den Schulstoff begleitenden Pflichtfilmen pilgerten die Schüler klassenstufenweise ins Kino: Zwei Teile Ernst Thälmann, fünf Teile Die Befreiung. Hier warf man keine Kinokarten, hier schlief man.

Das alte Foto vom Saal zeigt, dass früher die Bühne an der Rückseite des Raumes lag. Dahinter befanden sich Garderoben, die man später zum Vorführraum umfunktionierte, als die Bühne zur hausnahen Wand verlegt wurde. Man betrat das Schützenhaus durch das Hauptportal im Mittelrisalit. Rechts im Flur befand sich der Kassenschalter mit Extrazugang von der Straße (zweite Tür neben dem Eingang). Links führte eine hohe Flügelt\ür in die Gaststube. Geradezu hinter einer Glastür kam man ins Foyer und von dort durch zwei kleine Eingänge links und rechts der Bühne in den Saal. Auf beiden Seiten befanden sich in der Mitte der Längswände die Notausgänge, wovon der linke zu den Toiletten führte.

Anfang der 1970er Jahre rückten Bautruppen an. Sie unterfingen die beiden seitlichen Mauerfachwerkgiebel, rissen sie ab und mauerten sie vollständig aus. Die gutshausähnliche Fassade wurde ein Opfer der in der DDR grassierenden "Berliner-Fenster-Krankheit". Man ersetzte die vier in jedem Gebäudeflügel vorhandenen leicht gewölbten hohen Fenster durch jeweils zwei bzw. drei breitere, niedrigere, dreiteilige unter dem Motto "aus zwei mach eins". Damit verlor das Röbeler Sch\'fctzenhaus sein Gesicht. Kurz nach der Wende gingen die Lichter aus im Filmpalast. Bald waren die Wohnungen leergezogen. Hochbetagt und kurz vor ihrem Tod erhielt die Tochter der Schützenhauswirtin Lucie Curth-Rehberg, Gertrud Bluhm, im Alter von über achtzig Jahren ihr Familieneigentum zurück Wer mal die Treppe zum Obergeschoss hinaufging und das phantastische Balkenwerk der Dachkonstruktion gesehen hat, wird träumen von einer neuen Nutzungsart des Schützenhauses. Banken haben wenig Interesse an neuen Gastronomieprojekten, denn der alte Spruch bewahrheitet sich noch immer: Investitionen dieser Art sind erst rentabel nach der dritten Zwangsversteigerung...

 
                                                                        Saal um 1910

Vielen Dank an Juergen M. Reupricht für die Bilder und die Informationen

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