WALHALLA

Wiesbaden (Hessen), Mauritiusstr. 3

eröffnet: 1918  - Ende 1950 (Bambi)
geschlossen: 1990 (großer Saal) -Januar 2017 (Bambi)
Sitzplätze: 227 (1920) - 1408/240 (1958) (1958)
Architekt:  Rudolf Bayer (Bambi 1950)
Betreiber: Familie Zickenheimer                          1918-1960
Karl Heinz Krüger-Quiring                 1961-mind.1967
Familie Ewert                                     1973-1990 (1975-1978 als Theater genutzt)

Das Walhalla hatte in der Jahrhundertwende von 1900 mit viel Tamtam als "Spezialitäten-Theater ersten Ranges" begonnen. Hier konnte man in einem "Grand Restaurant" speisen und sich in einem Vielzweck-Theatersaal für damalige (prüde) Verhältnisse amüsant unterhalten lassen, ähnlich den Pariser Theatern jener Zeit. Bei großen "Bühnenschauen" gab es Gesangsdarbietungen, Konzertmusik, Pantomime, Ballett, Zauberkünstler, Liliputaner, Tierdressuren, sogar Akrobaten und Artisten.
Selbst, als das "Walhalla" dann vor allem Kino war, wurden noch solche Attraktionen geboten einschließlich Wassermusik. Vor fast jedem Film gab es ein Beiprogramm auf der Bühne, berichtet ein Zeitzeuge von seinen ersten Kinobesuchen. (Es ist ein Schiersteiner Bub, der heute im Nov. 2010 genau 84 Jahre alt ist.) Es dauerte und dauerte, bis endlich das eigentliche Programm anfing. Bei den anfänglichen Stummfilmen spielte ganz rechts oben in einer Art Loge der Organist zu den Bildern auf der Kinoorgel (beinahe wie damals im UFA-Palast, dem heutigen Caligari). Die Betreiber hatten dort bis vor dem Krieg auch eine große Kinoorgel.
Das Wiesbadener Walhalla Filmtheater war selbst für einen jungen Kinofan etwas Besonderes, es hatte nämlich als ehemaliges Varieté-Theater nostalgischen Flair, selbst für mich, einen damals 14 jährigen Jungen. Das Walhalla (und das Bambi Kino unten im Keller) wurden in jener Zeit von Herrn Zickenheimer betrieben. Herr Zickenheimer war einer unserer jüdischen Mitbürger hier in Wiesbaden, dem in der Hitlerzeit im Dritten Reich sehr sehr über und vor allem danach immer noch übel mitgespielt wurde (nachdem er als einer von ganz wenigen Wiesbadenern den ganzen Schlamassel lebend überstanden hatte). Er wurde von vielen alten Mitarbeitern der Wiesbadener Behörden und Ämter immer wieder bewusst benachteiligt, wenn es um Genehmigungen oder "sonstige Erlaubnisse" zum Betrieb seiner Kinos ging. Um dieser gezielten Diffamierung entgegenzuwirken, krempelte er immer sein Hemd am linken Arm bis ganz nach oben auf, wenn er "auf die Ämter" ging, um jedem demonstrativ deutlich seine auf ewig eintätowierte KZ Nummer zu zeigen. Vermutlich zogen manche dieser damaligen Beamten dann doch den Kopf ein und es ging überraschend schnell mit den Unterschriften.
Der Eingang zu den Kassen des Walhalla lag bereits ein paar Stufen hoch im Hochparterre und das eigentliche große prachtvolle Theater-Foyer lag sogar im 1.Stock. Es gab noch ein weiteres etwas kleineres ebenfalls prächtiges Foyer im 2.Stock für die honorigen Gäste auf dem Rang, der sich wie in den älteren Theatern üblich, oben im Halbrund um den länglichen Saal herumzog.
Zum für mich wichtigen Kino-Vorführraum ging es noch eine (weitere) versteckte Treppe höher in den 3. Stock unters Dach. Und dort standen sie, die beiden hypermodernen Ernemann X (10) Maschinen, in dem sehr großen weiträumigen Raum mittig aufgestellt, mit 4-Kanal Tontechnik, Plattenspieler, Diaprojektor und sogar einem Tonbandgerät. Ein Tonbandgerät hatte damals bei weitem nicht jedes Kino.

Das Walhalla hatte somit den mit Abstand größten Vorführraum eines Kinos, den ich je gesehen hatte. Man konnte fast Fußball spielen. Und der Raum hatte viele Fenster, Fenster hinaus in die kleine Schwalbacher Straße, damals das Rotlichtviertel, etwas genauer der Puff oder das Bordell Wiesbadens. Ich hatte mich (damals als 15-jähriger) schon etwas gewundert, warum dort selbst bei Regen und Schnee diese so merkwürdig sommerlich angezogenen Frauen also regelrecht gelangweilt den ganzen Nachmittag herumstanden. Gedacht hatte ich mir dabei aber (noch) nichts, es war eben so.
Der Kinosaal strotzte vor ehemaligem Glanz, die dicken schulterhohen Sessel oben auf dem Rang waren fast das Feinste, das es (damals) in Wiesbaden gab. Doch die Bildwand für diesen großen Saal war zu schmal. Es war ja mal ein Theater und so ließ sich die Bühne vermutlich nicht mehr baulich verändern. Das Kinoerlebnis eines überbreiten CinemaScope Filmes war trotz der sehr aufwendigen Technik irgendwie bescheiden. Dort oben im Vorführraum standen nämlich 4 x 35 Watt Röhrenverstärker im Schrank, das war der dickste Brocken von ganz Wiesbaden. Die anderen hatten nur 4 x 25 Watt oder sogar nur 1 x 6 Watt wie in Bierstadt. In diesem Kino habe ich vielleicht ein Dutzend Vorstellungen gezeigt (vorgeführt), sonst war ich hier öfter nur zu Gast bei dem Vorführer, der auch nebenan im Thalia und ab und zu unten im Keller im Bambi zu Hause war.
Übrigens, direkt unter dem großen Kinosaal des Walhalla ist eine ebenso große ebenerdige gewölbeartige Einkaufsetage, ehemals der erste große ALDI Laden in Wiesbaden und darunter ist der (damals) weit über die Grenzen Wiesbadens hinaus bekannte Gewölbe-Disko-Keller bzw. Tanzschuppen, in dem über ganz viele Jahre das "Big Apple" des Wolfgang Schott beheimatet war.
Als ich 1975 beauftragt wurde, diesen Keller mit moderner Technik neu zu beschallen, spielten ein Amcrown DC300A Verstärker mit 4 Bose 901 Boxen 2 Stunden lang Ginger Bakers Schlagzeugsolos vom Revox Bandgerät, bis schließlich die Polizei kam. Bei Aldi oben drüber würde die Erde beben und da würden die Konserven-Dosen reihenweise aus den Regalen "rutschen". Das müsse sofort aufhören. Tat es dann auch.


Das Bambi unter dem Walhalla

Das Bambi war das erste mir bekannte Kino ganz unter der Erde und damit völlig ohne Fenster und ohne Licht von draußen. Mit dem Vorführer dort kam ich damals "nicht klar", denn er ließ den "Laden" ein wenig verlottern. Ich durfte dennoch gratis rein und zählte immer wieder nur die Anzahl der Notbeleuchtungen, in denen nur noch eine oder gar keine Birne mehr brannte. Das hatte ich dem Vorführer auch so gesagt. Aber er hat es irgendwie "missverstanden". Ich fühlte mich daraufhin dort unten immer leicht "unwohl", "so" tief unter der Erde, obwohl dort später recht moderne Bauer B12 Projektoren ein sehr gutes Bild gemacht hatten. Anfänglich zu Zickenheimers Zeiten waren es nämlich alte gebrauchte Ernemann VIIB Projektoren mit einem recht schwachen Uniphon 6 Watt Verstärker.
Im Bambi mit seinen damals etwa 240 Plätzen, heute weniger als 120, wurden solche Filme gespielt, die "kulturell" extravagant oder supermodern oder sonstwie "anders" waren und sowieso kein so großes Publikum angezogen hatten. Das Bambi stand mit diesem Genre von Filmen in Konkurrenz zum "Atelier" im Apollo und dem "Filmstudio" in der Wilhelmstrasse. Herr Zickenheimer brauchte das Bambi auch, um an die Renner im Filmgeschäft heran zu kommen. Er musste die langsam auslaufenden Gurken auch irgendwo spielen, eben im Keller im Bambi. Gleiches galt und gilt auch für das Apollo. Ein Unternehmer mit nur einem Kino wurde von den Verleihern gnadenlos erpresst. (Das ist übrigens heute noch so.)

Quelle: Dipl. Ing. G. Redlich/Fernsehmuseum

Eine umfassende Renovierung erfuhr das Theater 1925. L25159

Mit Wall Disneys farbigem Zeichentrickfilm "Bambi" wurde zu Weihnachten 1950 das kleine Filmtheater des "Walhalla-Theaters" eröffnet und erhielt nach dem ersten Film seinen Namen. Unterhalb des geräumigen Foyers wurde das 250-Platztheater eingebaut. Die Projektion - zwei Ernemann VII B - erfolgte senkrecht auf die 3,20 x 2,50 m große Leinwand. Auf eine geräuschlos laufende kombinierte Belüftungsanlage, mit der gleichermaßen für Heizung und Frischluft gesorgt wurde, wurde besonderer Wert gelegt. Der Raum war mit Akustik fördernder Wandverkleidung und Bespannung sowie stark ansteigendem Parkett konzipiert. Bis zur Schließung präsentierte sich der Saal dann mit einem aus heutiger Sicht gewöhnungsbedürftigen 70er-Jahre-Design.   E5002

Ende Januar 2017 schloss die Stadt den gesamten Walhalla-Komplex wegen "erheblicher baulicher Mängel". Danach nutzte eine Kulturinitiative für einige Jahre das Haus, ehe es 2017 wegen nicht ausreichender Brandschutzbestimmungen endgültig geschlossen wurde. Bei geschätzten Sanierungskosten von 40 Millionen Euro ist das Haus für private Investoren aus der Kinobranche gestorben. Auch hier stellt sich die übergeordnete Frage, ob deutsche Behörden mit ihren teilweise völlig übertriebenen Sicherheits- und Brandschutzvorschriften dem Kulturleben in historischen Spielstäten nicht schon seit Jahren einen Bärendienst erweisen! Die Zukunft ist ungewiss.


      

   

   
Bilder von  2009 (untere Bilder: Das "Bambi" im Keller)


Foyer ca. 1951 (Bildquelle: Filmecho 52/1951)

"Bambi" 1950 (Bildquelle: Der Neue Film 4/1951-Scheffler)

Vielen Dank an Thorsten Harwardt für die Informationen
    
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Datum der Erstellung/letztes Update: 07.12.2021